Mit Paul Sass fand ich den richtigen Partner für verrückte Ideen, denn was ist schon eine Leidenschaft die man mit niemand teilen kann. Paul ist da genau der richtige Mann für so etwas. Mann sagt von Paul, dass er erst so richtig an seine Grenze gehen kann wenn der Fels brüchig und nass ist. Einzige Möglichkeit dies noch zu steigern ist, wenn dabei die Absicherung schlecht ist. Vielleicht liegt das auch an dem sagenumwobenen Fakt, das Paul den Wodka schon mit der Muttermilch getrunken hat weshalb ihn viele liebevoll den „russischen Bergfreund“ nennen.
(Paul Sass aka "russischer Bergfreund", Foto Paul Sass)
(Das Ziel,Scheideggwetterhorn Nordwand, Foto Paul Sass)
Das Team stand und mit ca. 60h auch das Zeitfenster nur das Ziel fehlte noch. Wegen des Wetters musste es eine Nordwand sein. Für mich schön, schwer und lang sowie für Paul alpin, wild und fast unmöglich zu schaffen. „Baston la Baff“ am Scheideggwetterhorn war die Lösung, ein 1100 m hohe Nordwand mit Schwierigkeiten bis 7c. Eigentlich ein realistisches Ziel aber in dieser kurzen Zeit??? Einen Versuch war es wert.
(Topo von "Baston la Baff" von Nicolas Zambetti)
Nach 900 km Anreise erreichten wir nach Mitternacht den Parkplatz der Großen Scheidegg bei Grindelwald. Wir hatten vorsorglich ein Matratzenlager gebucht um problemlos auf dem Parkplatz am Hotel parken zu dürfen. Nach einer viel zu kurzen Nacht ging es los. Frühstücken, Rucksack packen usw. Gegen 8:00 Uhr stiegen wir ein und die Zeit läuft. Aus Zeitmangel haben wir uns entschieden die ersten 4 liegenden SL wegzulassen und die Route „Niedermann“ solo zum ersten Band zu klettern.
(Tobias Wolf am Einstie, Foto Paul Sass)
Das war nötig um unser Tagesziel nach der Länge 18 realistisch erscheinen zu lassen. Also ging es bei uns mit der 5.SL los. Genialer fester Fels und ausreichend Absicherung waren anzutreffen. Ungewöhnlich war nur, dass die Arme extrem schnell dick wurden. Ob das an der langen Anreise, dem fehlenden Schaf oder an der Höhenluft lag ist schwer zu sagen. Sicher ist nur eins, dass dies fast den ganzen Tag anhielt. Wir kamen gut über das erste Steilstück und auch der Haulbag war mit nur 9 Liter Wasser nicht zu schwer. Frohen Mutes versuchten wir bei den liegenden Längen Zeit zu gewinnen hatte aber mit der Routenfindung etwas zu kämpfen.
(Die 5. Sl 7a+, Foto Paul Sass)
Mehr als einmal fanden wir den Stand nicht und sorgten uns dadurch über das Abseilen. Auch war der Zeitdruck was dies angeht eher hinderlich. Als das Seil in der 10. Sl schon fast ausgestiegen war und Paul den ersten Bohrhaken der 11. Sl einhängte passierte es dann. Es war eine dieser Kleinigkeiten, welche man schneller bereut als man denkt. Beim Einhängen des Bohrhakens hatte sich Paul auf eine 40 x 40 cm große Platte gestellt. Sie war lose, lag aber auf felsigen Untergrund. Was Paul nicht wusste war, dass in dieser extrem glatten Schieferartigen Felsschicht die Reibung der Platte gerade so ausreichte, um ihr Eigengewicht zu tragen. Durch Pauls Zusatzgewicht kam diese in rutschen und nahm Fahrt auf. Durch einen Aufschwung zwischen uns konnte ich nichts erkennen hörte aber etwas Großes die Wand herunterscheppern und war wie versteinert. Paul, der rechtzeitig von der Platte gesprungen war, schrie „Stein“ und konnte nur zusehen wie die Steinplatter genau auf die Stelle zustürzte wo die Seile hinter der Stufe verschwanden und mein Stand war. Ich sah nichts und hörte nur das Donnern. Ich überlegte kurz mich auszubinden damit ich seitlich auf der Reibung weglaufen könnte entschied mich aber dagegen. Schließlich ging ich soweit nach rechts wie es meine 2 m Seil zuließen kauerte mich hin und wartete ängstlich. Das Getöse wurde lauter und dann kamen die Steine auch schon geflogen. Die Größte Platte traf genau den Standplatz wo ich eben noch gehangen hatte. Kleinere Steine trafen mich zwar aber diese verursachten nur blaue Flecke. Danach banges Schweigen. Keiner konnte den Anderen sehen. Der Donner verhallte und ich atmete auf. Glück gehabt das hätte ins Auge gehen können. Mit zitternden Knien kletterte ich zu Paul. Der Schreck steckte uns noch in allen Knochen und ich begann mich vor dem Abseilen zu fürchten doch wir wollten weiter. Wir einigten uns das Tempo etwas zu drosseln besonders wenn der Fels brüchig war um zu verhindern, dass durch das Seil Geröll ins Rutschen gerät, denn davon gab es auf den Bändern mehr als genug.
(Die 8.Sl 6a, Foto Paul Sass)
Ohne weitere Zwischenfälle erreichten wir „Mur de Ceüse“ eine kompakte steile Wand mit großen Löchern. Paul kämpfte sich o.s. durch die erste Länge, welche für 7a+ sehr anstrengend war. Alle großen Löcher waren nach unten flach und die Reibung des Kalkes eher gering. Mit sehr dicken Armen stieg ich nach und schaute skeptisch auf die 17 Sl. „Ob man das für 7b+ klettern kann“, fragte ich mich und stieg ein. Ich bekam immer noch schnell dicke Arme und war kurzatmig. Also nutzte ich jeden Schüttelpunkt und versuchte die Route so gut es ging zu lesen. Zögernd fand ich meinen Weg und schlich mäandernd über die Reibung dem Stand entgegen. Die Freude war groß hatte ich doch die erste Schlüssellänge gemeistert. Trotz des mäßigen Tempos erreichten wir gegen 16:00 Uhr die Länge „Full Gaz“, unser eigentliches Tagesziel.
(Die 16. Sl "Mur de Ceüse 7a+, Foto Tobias Wolf)
(Die 17. Sl "Mur de Ceüse" 7b+, Foto Paul Sass)
Vielleicht lag unser schnelles vorankommen daran, dass wir den Haulbag parallel zum Sichern des Nachsteigers nach oben zogen. Sobald man also als Vorsteiger am Stand ankam ging der Stress los. Es hieß Seil einziehen, mit dem Reverso den Nachsteiger sichern und nebenbei den ca. 20 kg Haulbag raufziehen. Wenn dann der Nachsteiger am Stand ankam, mussten alle Seile sortiert und alles zum Weiterklettern vorbereitet sein. Erst wenn man den Seilpartner wieder im Vorstieg sicherte hatte man etwas Zeit die Aussicht zu genießen. Dieses straffe Programm macht durchaus Sinn, den bei 20 Sl am Tag nur 5 Minuten am Stand vertrödelt sind das 100 Minuten Verlust am ganzen Klettertag. Zurück zur Route. Wir standen am Fuß der 21.Sl mit dem Namen „Full Gaz“ eine spiegelglatte senkrechte Platte mit Seit- und Untergriffen. Die Sonne schien mittlerweile in die Wand und brannte auf uns hernieder. Entrinnen gab es keines und unser Wasser war knapp kalkuliert. Warten und Zweifeln half alles nichts und so nahm ich die Länge in Angriff. Delikate technische Züge führten zur Crux mit scharfen Griffen. Viel Zeit zum suchen blieb mir nicht, den mir liefen die Arme zu. Ich entschied mich für eine Linie abseits der Haken und ergriff die Flucht nach vorne und zwar mit Vollgas. Ich schnappte mehrfach aber es glückte. Ich kam an einen schlechten Ruhepunkt sondierte den Weiterweg und drehte noch einmal voll auf. Mit seht dicken Armen und halb dynamisch erreichte ich den Außstiegshenkel und freute mich wie ein Kind die SL 21. geschafft zu haben. Jetzt war der Weiterweg frei um eventuell noch das Biwak nach der 24. Sl zu erreichen. Doch es fehlte noch der „Fissure Baston“. Da Paul schon von dieser genialen 60m Rißlinie schwärmte, gab es für ihn nur den Vorstieg und immerhin wusste der Riß das auch, denn er war in der Mitte patschnass. Also nahm Paul alles Material und stieg ein. Ich versuchte hinter dem Haulbag etwas Schatten zu finden während Paul sich hochkämpfte. Die nasse Stelle war auch gleich die Crux und so war Paul voll in seinem Element. Jetzt kam der russische Bergfreund erst richtig in Fahrt. Der „Fissure Baston“ ist mit 7b schon nahe an Pauls o.s. Limit und wir hatten bereits 16 Sl und viele Meter haulen hinter uns. Trotzdem oder gerade deshalb ließ sich Paul nicht lumpen und stieg die Länge schnaufend wie eine Dampflock durch. Im Nachhinein meinte er, „es wäre nur der Rißbonus, weshalb es hier 7b gibt“. Ich denke jedoch die Bewertung passt schon, da die Länge anhaltend und steil ist. Ich musste mich im Nachstieg auch ganz schön quälen um mit den engen Kletterschuhen und schmerzenden Füße in den Riß zu treten. Es half aber alles nichts ohne ging es nicht.
(Biwak nach Länge 24, Foto Paul Sass)
Gegen 20:30 Uhr waren wir endlich nach 20 Sl Kletterei am Biwakband. Es war zwar schmal aber eben. Erst jetzt hatten wir Zeit die Landschaft in aller Ruhe zu betrachten und den Sonnenuntergang zu genießen. Trotz Daunenjacke und warmen Essen war mir vor Erschöpfung ganz kalt. Ich hatte mir die Waden in der Sonne verbrannt und war todmüde. Doch es half alles nichts essen mussten wir jetzt und zwar so viel wie möglich. Noch ehe ich es mich versah lag Paul im Schlafsack und ich machte es mir auf den Haulbags bequem. Ich hatte aus Gewichtsgründen auf eine normale Isomatte verzichtet und schlief auf den 2 Haulbags. Doch von Schlafen kann keine Rede sein, denn es tropfte uns die ganze Nacht ins Gesicht. Die Nacht verging in einem unruhigen Schlaf und beim Aufstehen hatte keiner von uns das Gefühl überhaupt geschlafen zu haben. Immerhin mussten wir die Nacht weder klettern noch haulen was an sich ja schon mal angenehm war. Die Vorfreude auf den vo uns liegenden Tag wurde noch Größer mit dem Wissen, dass der große Haulbag (90 l) am Biwak bleibt und es nur mit dem kleinen Haulpack (20 l) weiter geht. Dank der morgendlichen Kälte gab es ein romantisches Frühstück im Bett und Paul berichtete mir von seinen nächtlichen Abenteuern als er in Socken ungesichert vom Band kletterte um sich zu entleeren. Respekt!
(Tobias Wolf im Biwak, Foto Paul Sass)
Die erste Länge stellt mit 7c die Crux der gesamten Route da was am Morgen aus der Kalten sehr unschön ist. So kletterte ich die vorhergehende Sl noch einmal im Toprope und freute mich über die kalten und gefühllosen Finger. Das Gefühl des Kitzels steigert die Durchblutung und danach werden die Hände nach meiner Erfahrung nicht mehr so kalt. Ohne weitere Verzögerung ging es also los. Die Cruxlänge „Gänsegeier“ erst einmal fing gut an und war bis zum letzten BH in der Mitte des Überhanges noch dankbar. Dort ging es aber richtig los. Ich entschied mich nach Links zu queren stellte jedoch bald fest das dies nicht optimal war. Meine Arme waren aber bereits so dick, dass es kein zurück mehr gab und ich ergriff die Flucht nach vorne. Auf Reibung stehend und mit Untergriffen querte ich zur Verschneidung. Meine Unterarme waren so dick, das ich nicht weiß wieso ich hängen geblieben bin. Die Züge hatten auch nichts mit 7a obligatorisch zu tun. Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig mich auf die Reibung zu Retten und hätte mich fast vor Erschöpfung übergeben. Am Stand war die Freude groß, denn das war endlich die Crux. Hoffentlich hatte ich mich nicht zu sehr verausgab denn das Gefühl der Erschöpfung hielt weiterhin an.
(Tobias Wolf in "Intifada", Sl 28 6a+, Foto Paul Sass)
Die Angst jetzt noch zu scheitern war fast greifbar. Ich versuchte meine Erwartungshaltung so gering wie möglich zu halten und zählte die verbleibenden Längen rückwärts. Einerseits fürchtete ich das große Unbekannte was noch vor mir lag, andererseits Trieb uns die schier unstillbare Neugier nach dem Unbekannten voran. Dazu kam die Angst vor dem Abseilen, vielleicht das gefährlichste überhaupt. Am Ende siegte die Logik das begonnene zu vollenden. Paul durfte den „russischen Bergfreund“ ausleben und bekam eine Länge mit brüchigen Fels und die sehr anstrengende Länge „Splash“ die ihm im ebenfalls o.s. gelang und schon stand ich vor der allerletzten Hürde dieser Felsmauer „Al Quaida“. Sehr schwer zu lesen und scharfe Griffe charakterisieren die letzte und alles entscheidende 7b+ Länge.
(Paul Sass in Sl 31, "Splash" 7a+, Foto Tobias Wolf)
Es dauerte schier endlos die richtigen Griffe zu finden. Einigen Griffen wäre ich sogar beinahe in die Tiefe gefolgt, doch ich hatte auch hier wieder einmal viel Glück. Der Rest war Formsache. Gegen 16:30 Uhr standen wir auf dem Gipfel und freute uns über die gelungene Begehung. Das dies für mich komplett im o.s. bzw. flash ging war eine echte Krönung. Laut Gipfelbuch hatten wir die 3. Begehung und wirklich Glück mit dem Wetter. Doch die Freude dauerte nur kurz denn wir mussten schnell abseilen um die Stände noch im bei Tageslicht zu finden. Gegen 21:30 Uhr war es dann vollbracht wir waren wieder am Wandfuß schleppten uns zur Hütte, duschten kurz und nahmen noch ein paar Kalorien zu uns.
(Am Ausstieg, Paul Sass und Tobias Wolf)
Das war also ein langes Wochenende für uns nach 3h Schlaf war für uns die Nacht zu Ende damit Paul rechtzeitig am Flughafen in Basel eincheken konnte und ich fuhr weiter auf Arbeit.
Die Bilanz dieses Wochenendes:- 2 zufriedene Kletterer
- 1100 Klettermeter
- 1100 Abseilmeter
- 1200 Km Auto fahren