Es war kurz vor dem Dunkelwerden und das Seil verlor sich wenige Meter unter mir im Nebel. Die Wand hing stark genug über, dass man diese nicht mehr erreichen konnte. Nach einem groben Überschlag müsste das Seil gerade so bis zum Boden reichen, aber die gruselige dämmrige Stimmung tat ihr übriges ....
Wieder mal war etwas Zeit um was Längeres zu klettern. Frankreich, also die Gebirgszüge des Vercors in der Nähe von Grenoble, war auch schon im Frühling auf dem Plan. Leider war das Reisen da noch ein wenig beschränkt und musste verschoben werden.
Endlich war es soweit und es ging los. Mit von der Partie war diesmal Michael Scharnweber. Wir hatten früher schon viel zusammen geklettert und uns nicht nur symbolisch immer um den Vorstieg geprügelt. Neu war allerdings, dass wir zusammen in die größeren Wände zogen.
Neuland am "Rochers du Midi" war unser Ziel. Erstmal hieß es den Jetlag verarbeiten und die Nachbarrouten klettern. Eine große Herausforderung bei weniger als 4h Nachtschlaf. Wir entschieden uns für "Les Mythes Mutent", welche mitten durch die Wandzone ging, an welcher wir Interesse hatten. Da aller Anfang bekanntlich schwer ist, dauerte es ein paar Längen, bis wir in die Gänge gekommen waren und die Seiltechnik flüssig von der Hand ging. Beim Blick nach links und rechts sahen wir immer wieder wie wenig Platz die natürlichen Strukturen ließen. Auch mussten wir schnell feststellen, dass die gelben Wandzonen splittrig und strukturarm waren. Nach weniger als 5 h standen wir am Ausstieg und inspizierten den oberen Teil unserer geplanten Linie. Auch hier wieder Fehlanzeige, leider. Scheinbar hatten wir dieses Jahr kein glückliches Händchen bei Neutouren.
Am nächsten Tag gingen wir zu Plan B über. Wir wollten "Charliberté" probieren, ein unvollendetes Projekt von Phillipe Mussatto, einer französischen Kletterikone. Routen wie "Ali Baba", "Trouterapie", "Les 40 Voleurs" und "Carnet d'Adress" stammen von ihm und sind wahre Meisterwerke. Bis auf die letzte Route hatte ich diese bereits geklettert und fand diese alles andere als leicht.
Warum hatte Philippe "Charliberté" nicht frei geklettert?? Im Kletterführer stand ABO ++, aber offiziell gab es diese Bewertung nicht.
Vorsichtshalber hatte ich mir bereits im Voraus die Kontaktdaten von Herrn Mussatto besorgt und ihn zu seiner Route ausgefragt. Er meinte: "Es sei wahrscheinlich frei kletterbar, aber am Ende einer Traverse war irgendetwas komisch" und ein Topo hatte er auch nicht mehr.
Na ja, viel mehr wußten wir jetzt auch nicht, aber wer nicht probiert, hat schon verloren. Also ging es am nächsten Morgen wieder zum Einstieg.
Der Einstieg von "Charliberté ist am gleichen Haken wie "Les Mythes Mutent" aber zieht nach für die erste 50 m Länge. |
Die erste Länge war viel schöner als sie aussah. Bereits in der 2. Länge mußte ich alles geben. Zwei garstige Boulder mit weiten Zügen in tollen Fels verlangten mir alles ab, aber stolz wie ein kleiner Junge stand ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich am Stand. Jetzt waren wir ca. 70m über dem Einstieg, aber durch die vielen Bögen und Querungen war das schwer zu sagen. Die 3. Länge war wieder Michas Vorstieg und die Freikletter-Lösung war ein unkonventioneller Rechtsbogen mit einigen Reibungszügen. Wieder ein Problem weniger.
Die 2. Länge quert anfangs nach rechts und zieht dann zum Stand hin kräftig an. |
Die 2. Länge und ihre Kletterei zum Stand. |
Ein umso größeres Fragezeichen war die 4. Länge. Der kompakte Fels erinnerte mit horizontalen Rissen stark an die Routen im Verdon. Der Mittelteil war sehr unübersichtlich und die Tritte eher homöophatisch. Dazu kam, dass die Haken unvorteilhaft weit rechts steckten, was das Ausbouldern sehr anstrengend gestaltete. In einem kurzen Quergang 2 Haken vor dem nächsten Stand war bei mir endgültig Schluß. Die Füße schmerzten, die Unterarme brannten und auf der Reibung hatte ich keine Chance an den nächsten Griff ranzukommen. Zeit den Staffelstab an Micha abzugeben, denn eine Pause war längst fällig. Oder war das gar der Quergang den Mussatto meinte??
In der 4. Länge wirda ab 3. Haken ernst aber der Fels sieht ohne Nebel toll aus. |
Micha fand zum Glück eine sehr wackelige Lösung mittels 180 cm Länge, die im Durchstieg eine sehr gefestigte Persönlichkeit verlangte. Motiviert durch Michas Lösung und mit anderen Schuhen stieg ich ein. Obwohl die Kraft kaum noch zum Einbinden reichte, ging es im Durchstieg bis zum vorletzten Haken. Ab dort war es neu für mich, aber die Routine übernahm für mich und die anderen Schuhe standen besser. Mit 168 cm war Michas Lösung keine Option. Also frontal antreten und kräftig pressen. Jeden Moment erwartete ich, dass der Fuß wegrutscht.... doch nichts geschah. Also weitermachen und die Hüfte auf den nächsten Tritt schieben und juhu geschafft. Länge 4 war im Sack und sogar durchgestiegen.
Micha bei seiner Lösung am Ende der 4. Länge... |
... wo man auf Reibung stehend sich kräftig strecken muas. |
Es folgte die 5. Länge doch am 6. Haken war es vorbei. Es fehlten Griffe und Tritte für 2 Meter. Aus die Maus und auch aus mit Freiklettern der Route, also nix mit Liberte.
Wir schauten uns trotzdem noch die 6. Länge an, dort gab es fast nur Untergriffe. "Inversion" wäre ein passender Name für diese Länge. Leider verhinderte ein Gewitter und die späte Tageszeit, dass wir die letzte Länge ausbouldern konnten.
Nach einer halben Länge Untergriffe weiß man warum wir die Länge Inversion nennen... |
... doch am Ende wird es noch etwas reibig. |
Wir seilten zurück ins Tal und die Abseilfahrt, besonders das letzte Stück, war meine bisher gruseligste Abseile. Es war kurz vor dem Dunkelwerden und das Seil verlor sich wenige Meter unter mir im Nebel. Die Wand hing stark genug über, dass man diese nicht mehr erreichen konnte. Nach einem groben Überschlag müsste das Seil gerade so bis zum Boden reichen, aber die gruselige dämmrige Stimmung tat ihr übriges. Als ich dann nach 68m den Boden erreichte hingen mit Seildehnung gerade noch 2 Meter Seil im Gras. Das war nicht nur gruselig sondern auch knapp.
Am Ruhetag reifte in uns die Idee eine Umgehung der unmöglichen Länge zu bohren und die notwendigen Haken in die Kletterlinie zu setzen. Doch da wir wenig Zeit hatten, wollten wir vorher noch etwas anderes sehen. So machten wir einen Abstecher zu "Trois Pucelles" und kletterten "Lingne de vie". Abgesehen von den ersten beiden Längen war der Fels toll und ein echtes Erlebnis. Dennoch musste ich bis zum Schluss kämpfen um auch die letzte Länge durchzusteigen. Total geschafft ging es noch am gleichen Abend zurück zum "Rochers du Midi".
Es war ein weiterer Tag in Charliberté nötig um diese Perle für den Durchstieg vorzubereiten. Die Umgehung musste gebohrt und die letzte Länge ausgebouldert werden. Das erste erledigte Micha und die 7. Länge mussten wir beide ausbouldern. Lediglich deren Anfang war für 3m etwas schlechter Fels, der Rest war total schöner löchriger Kalk. Weite Züge zwischen guten Löchern erinnerten mich stark an "Ceüse", weshalb wir der Länge später diesen Namen verpassten. 50m war diese lang und 20 Expresschlingen waren nötig um bis zum Ausstieg zu kommen. Zufrieden, jetzt alles erledigt zu haben, seilten wir ab und freuten uns auf den Ruhetag.
Die letzte Länge fängt eswas splitrig an wird aber schnell grau und löchrig. |
Nach dem Ruhetag waren wir erstaunlich aufgeregt, aber alles ging glatt. Das Wetter war sonnig, nur zog immer wieder Nebel auf, was dem ganzen eine mystische Stimmung verlieh. Wir stiegen beide sturzfrei durch und freuten uns über die tolle Linie. Da der Name bereits festgelegt war, machten wir uns den Spaß, die Route in Anlehnung an unsere sächsische Sprache und Michas Familiennamen (S)Charliberté zu nennen.
Topo1 Charliberté mit unseren Bewertungsvorschlag. |
Fototopo Charliberté |
Rechts des Rochers du Midi ist ein markanter Felskopf der immer wieder aus dem Nebel auftaucht. |
Rechts des kleinen Nassen streifens zieht Charliberté durch die Wand. |
Fazit. Wir hatten unser Ziel erreicht und konnten "Charliberté" befreien. Der Fels konnte besser kaum sein, lediglich die Euphorie, wenn man mit der Bohrmaschine auf dem Rücken ins Unbekannte klettert fehlte etwas.