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Mittwoch, 8. April 2020

Erstbegehungsgeschichten Teil 1



Da auch der Osterhase sich an den 15 km-Radius halten muss hier etwas Unterhaltung für alle die daheim sitzen müssen. Das trainiert die Nerven und schont die Kletterschuhe.

Nur ein paar meiner Kletterschuhe die ihre Mikropartikel im Sandstein hinterlassen haben.


Der Erste sein
Oft wird das Erstbegehen, also das erstmalige Klettern einer neuen Route, als die Königsdisziplin des Kletterns gehandelt.  Ist dies so oder ist es vielmehr nur eine der vielen Spielarten des Kletterns?  Dieser Frage wollte ich etwas nachgehen.  Die hier dargestellten Betrachtungen sind von jemanden niedergeschrieben, der sich  zumindest zeitweise als  "Unbefangener", also als neutraler  Beobachter bezeichnet.  Naja, zumindest wenn es möglich ist,  jemand der unter  Felsleidenschaft leidet,  als neutralen Beobachter zu bezeichnen.  Zurück zur Gretchenfrage:
Was ist eigentlich der Grund warum sich einer mehr auf Neuland und andere eher aufs Wiederholen spezialisiert haben?
Sicherlich ist der Reiz des unbekannten ein Grund.  Dem gegenüber steht die Angst zu scheitern.
Wenn man allerdings derjenige ist, der etwas zum ersten mal probiert, kann dann eigentlich vom Scheitern die Rede sein?
Ich würde sagen nein, denn bei einer ungekletterten Wand  scheitern, ist wie in der Grundlagenforschung:  Mann weiß nie zu was dieser kleine Fortschritt gut ist und vieleicht heißt es später einmal: "Vor vielen Jahrzenten hatte  Erstbegeher XY  bereits die Vision diese Wand anzufangen.  Damals war die Zeit einfach noch nicht reif dafür, aber durch die Einführung von besserem Material konnte diese Idee nun verwirklicht werden."

So oder ähnlich habe ich es schon oft gehört.  Auch hat jede Generation von Erstbegehern die vermeintlich letzten großen Problem ihrer Zeit gelöst und es gab trotzdem noch etwas zu erobern.
Ob es nur die Eroberung des Nutzlosen ist, soll hier nicht geklärt werden. Schließlich hat jede Sache nur den Sinn, den wir ihr geben.

Neuland muss aber nicht immer sein, dass der Kletterer als erstes diese Wand durchsteigt. Es gibt in der Sächsischen Schweiz eine Tradition, die das Sammeln von Jahresersten betrifft.
Dadurch erscheint einem das Bestehende immer wieder neu und spannend. Egal ob bereits Tausende Kletterer auf diesem Gipfel standen pünktlich am 31.12 um Mitternacht wird die Uhr zurück auf Null gestellt und es geht wieder von vorne los. Der eine oder andere hat schon am Einstig geschlafen oder ist noch mit Stirnlampe mitten in der Nacht losgezogen. Wieder andere graben sich  bewaffnet mit Besen und Nordwandausrüstung  durch tiefen Schnee bis zum Gipfelbuch vor nur um , im neuen Jahr, Erster zu sein. Andere Nationen sind da noch extremer. In Italien oder in der USA wird nicht nur der Erstbegeher in den Kletterführern aufgeführt,  man zählt auch die erste Freie Begehung also die erste Rotpunktbegehung, die erste Eintages-Begehung, die erste On-Sight-Begehung, die erste Frauen-Begehung oder auch alles zusammen. Die erste reine Frauenseilschaft die eine Route an einem Tag On-Sight  geklettert hat. Der derzeitige Gender Trend lässt da noch viel neues Potential am Horizont erahnen. Bald kann man sich die erste Freie Eintages-Begehung einer "Diversen" Seilschaft sichern. Das ist dann mal etwas Neues was es so noch nie gab. Allerdings zählt das auch nur wenn alle Mitglieder der Seilschaft bei der Begehung tatsächlich davon überzeugt sind, weder männlich noch weiblich zu sein. Diese gehören dann dem Geschlecht Divers an.

Auf den folgenden Seiten wird mehr oder weniger chronologisch aufgeführt, wie ich zum Erstbegehen kam beziehungsweise wie ich dort hineingefallen bin.  Mehr als einmal kam es dabei zu Situationen mit denen ich nicht gerechnet hatte und die ich erst recht nicht wollte. Für außenstehende sind dies zum Teil witzige Begebenheiten. Für den der sie erlebt hat, sind sie nur deswegen unterhaltsam, weil nichts ernsthafteres dabei passiert ist und weil es den Zuhörern ein Schmunzeln aufs Gesicht zaubert.

Berghallali, jetzt sind die Berge unbezwingbar.


Winterbesteigung der Großen Hundskirche
Als wir am 6. Januar 1997 nach dem Jahreswechsel aus dem Allgäu kamen, war das Elbsandsteingebirge tief verschneit.  Im winterlichen Allgäu hatten wir einige Berge bestiegen. Deshalb wollten wir  zu Hause nicht darauf verzichten, einige Jahreserste zu hohlen. Mit dem Zug ging es nach Königstein und von dort in einer tollen Winterwanderung zum Fuß des Papsteines. Das Wetter war ein Wintertraum. Es herrschten -10°C und es schien die Sonne.  Aus vereinzelten Wolken schwebten einzelnen Schneeflocken hernieder, im Versuch die 20 cm Schneehöhe noch zu überbieten. Das waren Bedingungen für eine echte Winterbegehung. Wir freuten uns beim Zustieg, zur großen Hundskirche, keine Spuren im Schnee zu finden. Der Alte Weg sah dementsprechend aus:  "Da war sicher noch keiner hochgeklettert dieses Jahr". Wir wühlten uns mit Hand- und Bergschuhen nach oben und die Kälte biss in unsere Finger. Zum Absichern fanden wir nicht viel und gerade die letzte Stufe auf den Gipfelkopf war fürchterlich ausgesetzt. Ob wir vor Kälte oder vor Angst zitterten weiß ich nicht mehr genau.  Aber was ist eine Winterbegehung ohne Angst und die Gefahr einer Erfrierung.  Als wir nach 1h Plackerei am Gipfel ankamen, mussten wir erst mal umgraben, um das Gipfelbuch zu finden.  Beim Blick ins Buch fror uns endgültig das Gesicht ein. Am 3. Januar waren bereits 3 Seilschaften vor uns auf dem Gipfel  gewesen. Wie war das möglich, wir hatten doch keinerlei  Spuren im Schnee gesehen.?
Geschlagen traten wir den Rückzug an. Da es auf dem Gipfelkopf damals keine Abseilöse gab oder wir sie wegen dem Schnee nur nicht gefunden hatten, war das Abklettern sehr heikel.  Zurück  in Dresden, hörten wir vom sonnigen und trocken Wetter zum Jahreswechsel. Der Wintereinbruch erfolgte erst nach der Besteigung der Jahresersten.  Noch eine Woche später hatte Mike mit dem diese Besteigung stattfand ein leichtes Kribbeln in den Fingern, weil er sich bei unserer Aktion leichte Erfrierungen zugezogen hatte.

Das Jahr 1997 wurde für mich zum Jahr des großen Umschwungs. Die wenigen die in meiner Klettergemeinschaft die Wege nachsteigen konnten, stiegen lieber selber vor. Nur einer war so ehrlich zu sagen: "Du musst  dir andere Kletterpartner suchen, wenn du  weiterkommen willst."  Das klingt zwar leicht, ist es aber überhaupt nicht. Noch schwerer ist es das zu akzeptiere, besonders  wenn man gerne mit gewissen Leuten Klettern geht. Erst viele Jahre später erfuhr ich das solche Gefüge wie Vorstie/Nachstig nicht zwingend nötig ist um zusammen am Fels eine schöne Zeit zu haben. Aber auch das brauchte lange ehe man so etwas grundlegendes ablegen kann.  Zu meinem Glück eröffnete in Dresden gerade eine Kletterhalle. Mit Gleichgesinnten, die so schwer wie es irgendwie geht klettern wollten, ging es  Ostern '97 nach Südfrankreich fuhren.  Ich sah dort mit "Ceüse" und  "Buoux" die Mekkas des Sportklettern. Erstmalig durfte ich erleben, was alles beim Klettern möglich ist. Das Erlebte übertraf meinen bisherigen Horizont um Lichtjahre.

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Heringstein, Schwerelos 9b

Es war im Juli 1997. Ich hatte Anschluss bei m KV Schwerelos gefunden . Eine Gruppe  motivierte r junger Kletterer die jedes Wochenende am Fels verbrachten. Dort konnte man sich auch mal Tipps von den Anderen hohlen. Wenige Wochen zuvor  Kletterten wir zur Sonnenwende  im "Kleinen Zschand" am "Heringstein". Beim Klettern der "Schwebfliege" fiel mir oberhalb eine freie Wand  auf. Vielleicht könnte diese als Ausstiegsvariante taugen? Von der offene Stimmung inspirierte fragte ich Seppo (Stephan Gerber) abends  am Lagerfeuer wie den so eine Ring in die Wand kommt. Die Beschreibung klang anstrengend und kompliziert. Martin Pötschke meinte jedoch, dass ist nicht  kompliziert und er besitzt alles was man dafür benötigte.
Wenn früher einer der Schwerelosen den Zug verpasst hatte warteten wir an der Fähre auf den Nachzügler.


Die Idee dieser neuen Linie hatte also Gestalt angenommen und spukte mir jene Tag im Kopf herum. Deshalb wollte ich so schnell wie möglich wieder zurück zum "Heringstein". Wie jeder Erstbegeher der für seine Idee brennt hatte ich auf einmal Angst, dass jemand anderes diese Linie vor mir Klettern würde. Das ist sehr irrational, denn was sind schon ein paar Wochen im Vergleich zu Millionen von Jahren die diese Wand lediglich von der Erosion beachtet wurde. Zum Glück wurde ich bald erlöst und fand zusammen mit Martin einen freien Tag. Wir fuhren mit Martins Trabi durchs Kirnitzschtal und liefen zum Heringstein. Da es extrem heiß in der Südseite war,  bereitete mir der Einstig der Schwebfliege arge Probleme. Vor Aufregung ließ ich das Materialseil  am Einstieg liegen.  Das Fehlen merkte ich jedoch erst als ich 15m überm letzten Ring der "Schwebfliege" an zwei dünnen Felszacken hing. Was also jetzt machen? In meinem jugendlichen Leichtsinn  hatte ich keinerlei Schlinge gelegt und auch die große Sanduhr links der Kletterlinie vollkommen übersehen. Da meine letzte Sicherung überstiegen war hätte ich das Sicherungsseil nehmen können um mir den Hammer und den Kronenbohrer  hochzuziehen aber ich kletterte wieder zurück zum Ring und zog mir das Materialseil hoch. Als ich erneut da oben hing fühlte ich mich der Sicherung entsprechend. Die Felszacken hielten zwar  erst mal aber davon ist noch kein Ring in die Wand gekommen. Zum ersten Mal stellte ich das Material zum schlagen des Ringes in Frage. Der 2 KG Fäustel schien mir klobig und ungeeignet. Ich wünschte mir einen kleineren Hammer mit welchen man etwas gefühlvoller pickern kann ohne gleich mit 2 Felszacken aus der Wand zu fliegen. Ich wollte ja auch nicht den Vorgipfel einreißen. Was folgte war sehr ungewohnt und eine echte Quälerei.  Das jemand so etwas freiwillig oder aus Spaß macht war mir ein echtes Rätzel. Nach 1h hatte ich den Ring drinnen. Zum Glück erklärte mir Martin die ganze Zeit was ich machen musste. Am Ende hatte ich große Bedenken, ob der Ring fest genug  sitzt. Es war wie ein echter Paradigmenwechsel für mich . Weg vom Urvertrauen in bestehende Sicherungsringen geschlagen-von-erfahrener-Erstbegehern  hin zu das-darf-jeder . Eine Alternative hatte ich jetzt nicht mehr also setzte ich mich vorsichtig in den Ring. "Puh der Ring hält, aber reinstürzen will ich da nicht".  Als ich die Schlinge von den Zacken nahm brach eine komplett  ab und von der zweiten blieb nur  die untere Hälfte übrig. Ich fühlte mich scheußlich  kniff die Pobacken zusammen und kletterte die 8 Meter bis zum Vorgipfel.  "Juhu überlebt!" Die Ironie der Situation ist unglaublich und so falsch. Beim ersten hängen an den Felszacken hing fühlte ich mich trotz großer Gefahr nicht ok , beim Klettern zum Vorgipfel trotz ausreichender Sicherung fürchterlich. Heute kann ich die Strategie einiger Erstbegeher gut verstehen. Nach dem Ringschlagen wird erst einmal ein paar Jahre gewartet bis der Ring etwas festgerostet ist. Dank des viel größeren Volumens von Rost ist so ein Ring ein chemischer Expansionsdübel.  Also entweder hat man als Erstbegeher etwas Geduld, oder Vertrauen in seine eigenen Fertigkeiten. Wenig später überzeugte mich Uwe Richter noch einen 2. Ring am Ausstieg zu schlagen, damit es ein lohnender Weg wird und nicht etwa eine Mahnmal meines eigenen Leichtsinns.  Als ich nach über  25 Jahren den Weg noch einmal kletterte waren die Ringe noch immer in der Wand. Also hatte ich doch kein so schlechtes Händchen fürs Ringe schlagen. Oder hat der Rost die Arbeit für mich erledigt? Naja bereits in der Ausbildung lernte ich: "Was des Künstlers Hand nicht ziert, wird mit Farbe überschmiert". In diesem Fall ebbend Rostbraun.
Mit so einem Hammer ist das Ringschlagen angenehmer.


Abgetrennte Wand, Baumkrone RP 10a
Am 25. März 1998 hatte ich mal wieder unverhofft unter der Woche frei bekommen. Dazu kam, das Wetter war kühl und trocken also perfekt zum Klettern. Ich fuhr mit Uwe Richter zum Gohrisch um dort an der Narrenkappe und der Abgetrennten Wand zu klettern.

Im Jahr zuvor hatte ich meine ersten sächsischen 10er geklettert. Obwohl die Entwicklung  meiner Schwierigkeitsgrade durch das Hallentraining  recht flott  ging,  habe ich mir ab 9a alle Grade selber im Vorstieg erkämpft.  Ein Vorteil und zugleich auch Nachteil ist, das man zu großes  Vertrauen  in seine eigenen Fähigkeiten entwickelt. Das gibt einem Sicherheit in Situationen die eigentlich richtig gefährlich sind. Heute kann ich sagen,  Ich hatte einfach extrem viel Glück alles ohne größere Unfälle überstanden zu  habe. Wichtig für junge Kletterer sind in dieser "wilden Zeit" die richtigen Vorbilder. Nur dann werden aus den jungen Wilden auch irgendwann alte Kletterer. In meinen Anfangszeiten war ich auch mit Vertretern der "Alten Schule" klettern. Mit dem Wissen von heute kann ich sagen, dass die meisten Empfehlungen gefährlich waren. Damit will und wollte man andere "verheizten". Quasi Lernen durch Schmerzen und Angst.  So etwas sieht ungefähr so aus: "Der Weg ist gut gesichert, den kannst du versuchen." Wenn die letzte Sicherung überstiegen ist und der Weg zurück unmöglich schien, rettete man sich gerade so mit einem verzweifelnde Schnapper zum Ring. Danach grinste der Empfehlende schelmisch und sprach:  "Ich wollte  nur mal sehen, wie du das machst."  Im Fall des Rückzuges und Scheiterns wurde aus dem Grinsen sogar echte Schadenfreude. Verantwortungsgefühl  ist wahrscheinlich relativ und jeder versteht wohl  etwas anderes darunter. Eine Vorbildwirkung ist dies jedenfalls nicht. Die Frage nach dem Warum mancher so etwas macht, ist bestürzend einfach: "Es wurde früher  halt so gemacht."
 Ein besseres Beispiel ist da Uwe Richter.  Er hat es nicht nötig andere zu verheizten. Mit über 80 Erstbegehungen im Sächsischen Sandstein und mehr als 40 davon im 10. und 11. Schwierigkeitsgrad war und ist er das Maß der Dinge was Moderne Erstbegehungen angeht. Dazu ist er ein angenehmer Zeitgenosse mit einem Schelm im Nacken. Er lacht lieber mit Anderen als über sie.
Wir wärmten uns ausgiebig an leichteren Wegen auf, bevor wir zur "Wand der toten Bäume" an der Abgetrennten Wand gingen. Ihm als erfahrener Kletterer gebührte natürlich der Vortritt und die Wand sah wirklich abstoßend glatt aus. Als ich dann an die Reihe kam ging es besser als gedacht und ich freute mich die schwere Stelle sofort mit Uwes Variante klettern zu können. Am 2. Ring angekommen meine Uwe: "Probiere doch mal, ob du gerade hoch klettern kannst".  Also kletterte ich gerade hoch. Es war etwas unangenehm an abschüssig  Griffen und der letzte Zug war der schwerste. Als ich auf dem Gipfel stand hieß es von unten: "Schreibe mal deine Erstbegehung ins Gipfelbuch ein!" Etwas irritiert war ich schon, weil ich habe ja nichts gemacht hatte außer hoch zu klettern. Uwe erklärte mir später das Bernd Arnold an dieser Stelle weit nach links querte. Angeblich sollte Wolfgang Güllich erfolglos versucht haben vom 2. Ring gerade hoch zu Klettern aber das bezweifelte ich. So kam ich ungewollte zu meiner 2. Erstbegehung.
Danach blieb es bei mir einige Zeit ruhig mit Erstbegehungen. Das hatte auch seine Gründe. In eine Schlinge zu stürzen ist das ein, aber sich in eine Schlinge zu setzen die keine Sturz hält nur um den Ring zu schlagen ist was ganz anderes. Da verlasse ich mich doch lieber auf meine Fähigkeiten und halte mich selber fest. Leider konnte wir damals mit einer Hand noch keinen Ring schlagen.


Uwe sitzt manchmal der Schalk im Nacken...
...wenn es ernst wird kann man sich auf ihn verlassen.



Erhöhter Kontakt mit infizierten des  Erstbegehungsvirus
Es ist ja allgemein bekannt, dass ein Laster leichter zu ertragen ist wenn man es mit Gleichgesinnten teilen kann.  Als ich mit Chris-Jan Stiller im Bielatal unterwegs war begegneten wir erstmals Thomas Küntscher aka Kuno. Unsere Gesprächsthemen waren natürlich von der Vertikalen bestimmt. Schnell merkte ich, dass Kuno trotz der  vielen Jahre die er schon am Fels unterwegs war für das Klettern im Sandstein brannte. Doch Kuno und indirekt seine Umgebung litt nicht nur unter dem Sandsteinvirus sondern auch unter dem Erstbegehungsvirus. Irgendwann ging man halt zusammen Klettern und so war das Thema Erstbegehen viel präsenter als zuvor. Es gab auch viel von Kuno zu lernen. Unter anderem, das ein Kletterseil zwei Enden hat. Das war eigentlich nichts Neues, aber das man sich zum vermeiden von Seilzug in beide Enden einbindet schon. Besonders bei Quergängen am Einstig  ist das sehr praktisch und weiter oben kann man ein Seilende Abwerfen um wieder alle Vorteile des Einfachseils zu nutzen.   
Wann genau  es war weiß ich nicht mehr, aber es war ein schöner sonniger Wintertag.
Es lagen 10-20 cm Schnee und wir fuhren in den Dom zur Rohnspitze & Domwächter. Obwohl es frostig war, konnte man in der prallen Sonne gut Klettern.  Naja Zumindest solange die Wand steil genug war. Während Kuno mit mir das Klettern in der Sonne genoss, war Chris-Jan damit beschäftigt im Halbschatten einen  Absatz dem Winter abzuringen. Links vom "Kreuzweg"  legte er eine unvorstellbare Hartnäckigkeit an den Tag, den Absatz von Schnee und Eis zu befreien. Wieso genau er das machte konnte ich nicht verstehen. Wenig später schlug er einen Ring und war zufrieden für den Tag. Die Wand darüber war fast ohne Strukturen. Wie er da weiterkommen will und was ihn dabei Antrieb war mir ein Rätzel. Aber es heißt ja nicht umsonst jedem Tierchen sein Pläsierchen.
Die Ironie will es so, dass in einigen Jahren  Chris-Jan zusammen mit mir diese Wand beenden wird.
Unser Basecamp nach dem Festtreten des Schnees.

Kuno

Chris-Jan macht den Winterdienst.




Zyklopenmauer,  Supergirls don't lie 8c
In der Zeit um die Jahrtausendwende war es für uns Brauch, dass wir Freitags nachmittags ins Elbi fuhren und das ganze Wochenende dort verbrachten. Deshalb waren bei mir spätestens  Samstag Nachmittag die Fingerspitzen blutig. Ich konnte zwar mit Tape auf den Fingerspitzen noch den ganzen Sonntag klettern aber ein bisschen unangenehm war das schon. Das böse Erwachen kam meistens Montagmorgen auf Arbeit. Die Fingerkuppen waren so durchgeklettert, dass ich nicht einmal eine  weiche  Toastbrotscheibe schmerzfrei berühren konnte. Dadurch war das Löten auf Arbeit  eine echte Tortur. Der glatten Draht, den man mit den Fingern andrückt  muss, erwärmt sich  bei dem Prozess stark. Mit etwas Hornhaut ist dies überhaupt kein Problem. Ohne Hornhaut  jedoch durchfährt einem der Schmerz wie ein Nagelschussgerät das dummerweise durch den Finger genagelt hat.

Am Sa. den 6. Mai 2000 waren ich mit Freunden an der Zyklopenmauer und Umgebung Klettern. Wir hatten in der Boofe an der Glocke geschlafen und Nachmittags kletterten wir in der Nordseite der Zyklopenmauer. Irgendwann kam Chris-Jan zu mir mit der Bitte sich sein Projekt rechts vom "Nordriss" anzuschauen. Er war bereits bis auf die Höhe geklettert wo der 2.Ring hin sollte konnte diesen aber nicht schlagen. Ich war zwar nicht heiß auf Erstbegehen aber wenn ich ihm damit Helfen kann, schaue ich es mir mal an. Die Schwierigkeit war am 1. Ring. Dort wo der 2.Ring geschlagen werden sollte war man bei einem Sturzes wieder am Einstig. Wie Chris Jan zuvor  hing ich an der Kante und konnte mich nicht festmachen um den Ring zu schlagen. Halb so wild, dachte ich mir und stieg einfach weiter. Dadurch konnte ich immerhin vermeiden, mich an irgendetwas komisches dranzuhängen. Meinen Fingern vertraue ich was das betrifft mehr.  So ging es weiter die Kante hoch und ich war schon lange ausgesichert als es nicht mehr weiter ging. Mist, jetzt musste ich mich doch an irgend etwas dranhängen um den Ring zu schlagen.  Ich weiß nicht mehr, mit was ich beim Weiterklettern gerechnet hatte weiter oben vorzufinden. Im Tierreich gibt es ja in vielen Situationen die Starre als Schutzreflex so auch bei mir. Nach sehr langen Stehen und schauen an der besagten Stelle war noch immer kein Ring in der Wand. Irgend etwas musste ich aber machen. Ich probierte viele Schlingen aber darin war ich noch nie besonders gut. Da Schlingenlegen den Kletterfluss hemmt hatte ich bisher mehr Schlingen ausgelassen als gelegt. Nach langem Probieren lag eine schlechte Schlinge quer in einem Band. Mit nur einer Hand zog ich den Kronenbohrer am Materialseil hoch. Immerhin hatte ich dieses mal eines mitgenommen. Jetzt kam der Zeitpunkt den ich beim Erstbegehen hasse. Man muss mit beiden Händen loslassen um den Ring zu schlagen. Wie habe ich mir in dem Moment ein Bolzenschußgerät gewünscht wie es im Film "Cliffhanger" verwendet wurde.  Irgendwie krampfte ich mich so schräg an die Kante, dass mein ganzes Körpergewicht die Schlinge seitlich belastet. Das reichte um kurz loszulassen und einige Schläge mit dem Hammer zu führen. Danach hieß es festhalte, etwas entspannen und das Ganze von vorne.  Um es etwas  abzukürzen, es war wieder mal eine Qual. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte ich gerade mal 5 cm geschafft und es fehlten noch über  15 cm bis zur Erlösung.  Umso erfreuter war ich, als Chris-Jan sagte: Das reicht schon. Lege einfach eine Schlinge um den Bohrer ich lasse dich daran ab."  Ich zweifelte zwar, dass dies eine gute Idee ist aber er wird schon wissen was er tut. Ich war jedenfalls froh nicht weiter so verkrampft an der Kante hängen zu müssen bis das Loch mit 22 cm tief genug für den Ring ist.  Zum Ablassen blieb der Kronenbohrer an Ort und Stelle aber als Chris-Jan oben ankam, neigte sich der Bohrer bereits gefährlich nach unten. Da er so scharf aufs Ringschlagen war, schlug er auch noch den 2. Ring nachträglich. Dadurch wurde die Route für Wiederholer ungefährlich.  Als ich am nächsten Morgen aufwachte fühlte ich mich wie überfahren. Der  Muskelkater war  allgegenwärtig. Egal wie ich mich bewegte alles tat weh. Das kommt bestimmt vom Ring schlagen. An jenem Sonntag habe ich nicht mehr viel geklettert und nach diesem Wochenende waren die Finger am Sonntag auch nicht blutig. Vielleicht gibt es da einen Zusammenhang zum Erstbegehen? Diese Erkenntnis benötigte jedoch noch etwas Zeit bevor sie sich bei mir festigte.

An den Wochenenden war wir eine bunt gemischte Gruppe. 


Blaskenturm, Dunkelhut 10b
Es ist ja bekannt das wir in einer Gesellschaft der Arbeitsteilung leben. Jeder macht das was er am besten kann. Ähnlich ist es auch beim Klettern. Die meisten suchen sich Wege die am besten zum eigenen Stil passen.  Bei neuen Routen habe ich dagegen eine andere Theorie entwickelt: Die Wand ist es ,die sich ihren Bezwinger aussucht nicht anders herum. Anders könnte man auch nicht erklären warum bei Wegen von Person A die Schwierigkeit immer zwischen den Ringen liegt, bei Person B stecken die Ringe trotz optimaler Aufteilung immer zu hoch und bei Person C sind die Griffe immer so weit auseinander, das kleine Menschen keine Chance haben die Züge zu Klettern.
Da haben wir auch die Erklärung warum Chis-Jan und ich den Weg am Blaskenturm zusammen machen mussten. Den 2.Ring zu schlagen wäre mir schier unmöglich gewesen. Der  Dynamo zum 2.Ring geht in ein Zweifingerloch an dem man ganz schön dranhängt. Wie immer beim zweiten Sicherungspunkt ist der Boden näher als man es sich wünscht. Zum Festmachen gibt es nur das Loch wo die Finger schon drinstecken.  Das  ist ein echter Zaubertrick den jeder mal versuchen sollte. Irgendwann nach vielen Stürzen gelang es Chris-Jan den Skyhook dort hineinzulegen wo gerade eben noch die Finger waren. Die Kunst ist dabei , alles so schnell umzusetzen, dass die Gravitation nichts davon mitbekommt. Chris-Jan hatte sein Meisterstück damit vollbracht. Was in den  nächsten Jahren bei der Arbeit mit dem Skyhook noch folgt, ist fast schon der Beweis dafür, dass er die Gravitation bestochen haben muss gelegentlich mal wegzuschauen. Er hatte ja bereits gut vorgelegt und ich tat mich schwer mit meinem Teil. Die Wand wurde noch viel Steiler als bisher  und man kam mit dem Zweifingerloch in eine seichte Verschneidung. Dort presste und stützte ich fast 2h lang bis ich eine Lösung fand und das runde Band darüber in den Händen hielt. Ob ich die Züge noch einmal hinbekommen würde war fraglich und wie ich den nächsten Ring schlagen soll auch. Die Zeit lief mir davon und ich entschied  mich in das Band hineinzulegen. Also Füße hoch und seitlich in das Band gewälzt. Am Einstieg wurde laut gelacht und ich fand es anfangs auch witzig. Immerhin konnte ich so etwas ausruhen. Das Problem kam einigen Minuten später. Als ich versuchte wieder aus dem Band heraus in die Kletterstellung zu kommen wusste ich nicht wie ich das anstellen sollte. Unter mir hing die Wand über und ich fand die Tritte nicht mehr. Der Überhang über mir war sogar noch größer. Zum ersten Mal konnte ich verstehen warum früher Ringe auf Bändern statt darüber geschlagen wurden. Es ist einfach bequemer . Der nächste Ring sollte jedoch über das Band. Irgendwann glückte das Manöver aber es war ein gewaltiges hin und her. Aus einer sicheren und bequemen Position quasi blind herauszuklettern ist doch nicht mein Ding.  Im nachhinein betrachtet wäre das Weiterklettern um einiges leichter gewesen als sich ins Band zu Legen. Wir stuften die Route 10a RP 10b ein als Wochen später der Durchstieg gelang. Wiederholer jedoch meinten es wäre mindestens 10b RP 10c, darüber lässt sich ja bekanntlich Streiten.


Bei der Erstbegehung vom Dunkelhut am Blaskenturm.


Skyhook
Was dann folgte war die Sturm- und Drangzeit meiner Erstbegeherjahre. Es ging nicht darum was geklettert wurde sondern die Statistik war interessant. Das heißt ein Wochenende ohne geschlagene Ringe war ein schlechtes Wochenende. So zogen wir selbst im Winter bei Minusgraden, Sturm und Schnee ins Gebirge um zumindestens die Wände auf mögliche Linien abzusuchen. Immer hatten wir mindestens ein oder zwei Ringe im Gepäck die wir nicht wieder mit nach Hause tragen wollten. Ja das war eine wilde Zeit. Der Skyhook war gerade zum Schlagen von Ringen zugelassen worden. Somit wurden die Möglichkeiten zum Anbringen von Ringen für den Erstbegeher erweiterte. Nicht, das es die für den Sandstein passenden Skyhoos zu Kaufen gab. Nein, die meisten dieser käuflichen Metallhaken waren so geformt, dass man sich beim reinsetzen wenig später im Seil oder am Einstig wiederfand. Das lag daran das sowohl Winkel als auch die Schärfe der Kanten ungünstig waren. Der weiche Sandstein hielt diese Belastung nicht aus und bricht einfach. Es war also nötig selbst etwas zu basteln. Wir haben viel herumexperimentiert und der damalige Favorit war ein umgeschmiedeter Kleiderhaken aus einer Kantine. Warum einige dieser Kleiderhaken sich wieder aufbogen und andere hielten haben wir nie herausbekommen. Der Vorteil jedoch war, dass dieser Skyhook in sehr kleine Löcher passte und somit die Gefahr eines Ausbruchs geringer war. Ein anderes Model wurde aus einem Motorradgepäckträger  ein weiteres aus einem alten Ziegenhaken gefertigt. Dadurch war der Radius passend um sich an runden Bändern hinhängen zu können. Es gab auch einige Tage wo ich über den Schnee beim Schlagen des ersten Ringes dankbar war. So zum Beispiel als am Affenhorn in der Route "Klammeraffe" der erste Ring geschlagen wurde. Ich fühlte mich in den umgeschmiedeten Kleiderhaken so wohl, dass ich munter auf den Bohrer einschlug. Da die Wand sehr überhängt schaukelte ich langsam hin und her. Irgendwann meinte Chris-Jan ich sollte mal langsam eine Schlinge um den Kronenbohrer legen. Eigentlich fühlte ich mich sicher und der Schnee unter mir sah angenehm weich aus aber ich folgte dem Rat. Wenige Sekunden nachdem die Schlinge um den Bohrer lag, platzte der Skyhook aus in dem ich die ganze Zeit gesessen hatte. Da hatte ich ja noch einmal Glück gehabt. Der Sturz aus 3 Meter Höhe hätte eine schmerzhafte Arschbombe auf eine Wurzel werden können, die unterm Schnee versteckt lag. Jedes mal wenn ich heute die Obere Affensteinpromenade  am Affenhorn vorbei laufe und die Wurzel sehe schüttele ich den Kopf.



Das Erstbegehungsbesteck fürs Elbsandstein: Links Lochschlingen in verschiedenen Größen, der besagte Ziegenhaken als großer Cliff, ein gekaufter Hook, die 4 Kleiderhaken, Hammer, Ring, 2 Kronenbohrer, Flaschenbürste. 

Eine gelegte Lochschlinge.

Klammeraffe beim schlagen des 1. Ringes.



Wer es spannend fand kann ja ein Kommentar hinterlassen, vielleicht gibt es dann noch weitere Teile. Genug passende Erlebnisse dazu habe ich auf jeden Fall.  


Sandsteinleidenschaft